These 4: Konstellationenthese
Es existieren äußerst heterogene Konstellationen auf regionaler Ebene, die dazu beitragen, dass sich Arbeitskräfteknappheit unterschiedlich artikuliert. Dabei spielt die Attraktivität und Marktmacht von einzelnen Unternehmen in der Region eine entscheidende Rolle.
Die spezifische Einbindung von Betrieben in Wertschöpfungssysteme und deren räumliche Lage innerhalb der Regionen tragen maßgeblich dazu bei, ob und in welcher Form sich Fachkräfteengpässe entwickeln. Rekrutierungsprobleme werden je nach Konstellation zu verschärfter Konkurrenz um Arbeitskräfte führen. Hierbei spielt die Struktur von wirtschaftlichen Clustern bzw. die Ausprägung von regionalen Arbeitsmärkten eine maßgebliche Rolle. Es ist von entscheidender Bedeutung, ob einzelne Betriebe die Rolle als größter Arbeitgeber übernehmen (z.B. in Jena), ob es klare Hierarchien zwischen den einzelnen Betrieben innerhalb eines Wertschöpfungssystems gibt (z.B. in Eisenach und dem umliegenden Wartburgkreis), ob die Region überwiegend von kleinen und mittleren Betrieben geprägt ist (z.B. Saalfeld-Rudolstadt) oder ob auch größere Betriebe existieren. Gleichzeitig ist die Lage der Landkreise bzw. Städte für den regionalen Arbeitsmarkt von Bedeutung: Die Nähe zu Bayern oder Hessen kann zum Beispiel zu Pendlerbewegungen führen, während die Grenznähe zu Tschechien (Bautzen) wiederum dazu beitragen kann, dass die örtlichen Arbeitgeber für ältere Arbeitnehmer/-innen mit Wohneigentum als alternativlos erscheinen. Die unterschiedlichen Konstellationen und Problemlagen lassen sich an folgenden zwei Idealtypen verdeutlichen:
1) „Betriebskannibalismus“
In Regionen, in denen (Groß-)Unternehmen mit einer hohen Arbeitsproduktivität existieren, besteht die Gefahr, dass sich in der Konkurrenz um Arbeitskräfte ressourcenstarke Unternehmen durchsetzen, die ihren Arbeitskräftebedarf auf Kosten von kleineren und mittleren Unternehmen decken können. Die Konkurrenz um Arbeitskraft kann die Existenz schwächerer Unternehmen untergraben. Damit drohen Bumerangeffekte, die für die gesamte Region zum Problem werden können. So können als Folge dieser Konkurrenz wichtige Glieder der regionalen Wertschöpfungssysteme kollabieren. Das ,Absaugen’ der regionalen Arbeitskraft durch marktmächtige Akteure wird auch dort problematisch, wo durch diesen Mechanismus das Arbeitskräftereservoir für unabdingbare Infrastrukturen und (soziale) Dienstleistungen ausgedünnt wird. Der Betriebskannibalismus kann zudem auch zwischen den Regionen wirken: „Leuchttürmen“ wie der Optikindustrie in Jena mit vergleichsweise guten Arbeitsbedingungen und Bezahlung kann das Fundament wegbrechen, wenn aus benachbarten Landkreisen Arbeitskräfte von Zulieferfirmen rekrutiert werden.
2) Austrocknen des Reservoirs
Insbesondere in ländlichen Regionen, in denen nur wenige größere Arbeitgeber existieren, droht ein Austrocknen des Arbeitskräftereservoirs, was lange Zeit durch günstige Rahmenbedingungen (Überangebot an Fachkräften) überdeckt wurde. Die spezifische Situation nach der Wende führte dazu, dass einige wenige Betriebe den ortsansässigen Arbeitnehmer/-innen lange als alternativlos erschienen, sodass von Unternehmerseite Bemühungen zur betrieblichen Aus- und Weiterbildung, Erschließung weiterer potenzieller Arbeitskräfte oder das Vorantreiben von Maßnahmen zu alternsgerechtem Arbeiten systematisch vernachlässigt wurden. Die langsame Umkehrung der Dynamik auf dem Arbeitsmarkt trägt nun dazu bei, dass es zu einem ,tipping point’ kommen kann, an dem existenzielle Rekrutierungsprobleme entstehen, die nicht von allen Unternehmen mit notwendigen Investitionen beantwortet werden können. Die Folge ist, dass einige strukturschwache Regionen noch stärker abgehängt werden könnten und in diesen – im Falle eines Ausbleibens koordinierter Gegenmaßnahmen (s.u.) – eine Abwärtsspirale einsetzen könnte.
Die spezifische regionale Ausprägung von Wertschöpfungssystemen und Industriestrukturen sollte daher auch im Mittelpunkt der Forschung zu Demografie und Arbeit stehen.